In Glasgow versammelten sich Mitte September ca. 200 Spezialisten vornehmlich aus dem akademischen Umfeld zur 6th International Conference on Human Computer Interaction with Mobile Devices and Services , kurz mobile HCI04
http://www.cis.strath.ac.uk/~mdd/mobilehci04/.
Die Gestaltung der Mensch-Maschine-Interaktion für Anwendungen mit mobilen Geräten stand im Mittelpunkt der Diskussion.
Dabei interessierten neben technischen Lösungen vor allem auch Methoden der Nutzeranalyse sowie verbesserte Interfacemöglichkeiten durch optimiertes Design.
• Energiemanagement
So erläuterte Lance Bloom von Hewlett Packard/HP Labs (UK) detailliert, wie HP durch Veränderungen der Bildschirmdarstellung die Batterielaufzeit tragbarer Geräte bei gleich bleibenden Leistungsumfang deutlich verbessern konnte. Von Screendesignern wurden hierzu verschiedene Varianten entwickelt, die dann in Studien auf ihre Auswirkungen bezüglich Nutzerakzeptanz und Benutzererlebnis untersucht wurden. Die beste Balance aus energetischer Effizienz und Nutzerakzeptanz erzielten dabei invertierte Bildschirmdarstellungen, die hellen Text auf dunklem Untergrund abbilden. Sie resultierten in einer bis zu 6 fachen Batterielaufzeit auf technisch ansonsten unveränderten Geräten. HP sieht diese versuche als Teil eines Gesamtprogramms zum intelligenten Energiemanagement auf tragbaren Geräten.
http://www.hpl.hp.com/personal/Partha_Ranganathan/papers/MobileHCI2004-Submit.pdf
• Optimierung des GUI
Neben der Problematik zu geringer Batterielaufzeiten fand insbesondere die Tatsache der kleinen Screengröße mobiler Geräte und die damit einhergehenden eingeschränkten Interaktionsmöglichkeiten für den User regelmäßige Erwähnung.
Eine Reihe von Beiträgen befassten sich folgerichtig mit Optimierungsversuchen des klassischen Graphical User Interface.
So untersuchte z.B. Laurent Magnien (Univ. Paul Sabatier, Toulouse, F) die optimale Anordnung von Software-Keyboard Layouts zur besseren Nutzung des Platzes auf dem Screen und Erhöhung der Produktivität beim Textinput
Paul Vickers (Northumbria University, Newcastle, UK) schlug stiftbasierte Gesten - die sich über den gesamten Bildschirm erstrecken können - als Möglichkeit vor, Buttons auf dem Screen zu ersetzen, um festgelegte Anweisungen an das Programm zu übertragen. (Bestätigen, Abbrechen, Zurück, Bookmark setzen etc.)
http://northumbria.ac.uk/static/powerpoint/vickers_p_res_pres
Dynal Patel (Univ. Kapstadt, RSA) und Matt Jones (Univ. Waikato, Neuseeland) evaluierten Methoden, um größere Mengen an Fotos auf einem handheld Computer im Überblick zu behalten, bestimmte Bilder gezielt auszuwählen, mit Anmerkungen zu versehen und zu einer Präsentation zusammen zu stellen. Wobei wiederum in Referenz zur begrenzten Screengröße verschiedene Methoden des Autozooming und -scrolling entscheidende Effizienzvorteile gegenüber der Methode einer Auswahl aus einer Liste von fixen Thumbnails versprechen.
http://people.cs.uct.ac.za/~dpatel/paper.htm
• alternative Interfaces
Einen anderen Ansatz zur Überwindung der technischen Input-Limitierungen via Screen verfolgten Projekte, die sich mit alternativen Inputmethoden, etwa über Bewegungssensorik beschäftigen.
Parisa Eslambolchilar von der National University of Ireland verbindet den PDA über dessen seriellen Port mit einem Beschleunigungssensor. Der User kann nun durch Kippen bzw. ruckartiges Seitwärtsbewegen des Gerätes angezeigte Inhalte scrollen und einzelne Elemente auf dem Bildschirm auswählen. Die Navigation erfolgt dabei geschwindigkeitsabhängig in Kombination mit automatischem Zoomen. Die PDA-Anwendung kann dadurch komplett einhändig bedient werden, was unter bestimmten Umständen von Vorteil ist.
http://www.dcs.gla.ac.uk/~rod/publications/EslMur04-SDAZ.pdf
Das Projekt entstand in Kooperation mit der Glasgow University, von dem auch
Andrew Crossan kommt. Seine Untersuchung galt der Akzeptanz und Genauigkeit von Cursor-Navigation durch Kippen des Gerätes. Der Beschleunigungs-Sensor registriert dabei Bewegungen in allen 3 Freiheitsgraden, so dass Objekte an jede beliebige Stelle des Screens navigiert werden können. Längeres Verweilen (>1,5 sec.) über einem Objekt auf dem Screen ist gleich bedeutend mit einem Klick darauf.
http://www.cs.strath.ac.uk/~mdd/mobilehci04/slides/Crossan.pdf
Zur zuverlässigen Anwendung dieser Navigationstechnik ist einiges Training durch den Nutzer allerdings unabdingbar. Beide Autoren sehen Beschleunigungssensoren als praktische Ergänzung zu screenbasierter Navigation und auch auf Grund niedriger Herstellungskosten und geringen Gewichtes deren standartmäßige Verbreitung in naher Zukunft.
Mark Dunlop (Univ. Strathclyde, Glasgow) stellte für den embedded Bereich ein Konzept vor, bei dem Kurztexte über insgesamt nur 5 Felder der berührungsempfindlichen Oberfläche einer Armbanduhr eingegeben werden können.
http://www.cs.strath.ac.uk/~mdd/mobilehci04/slides/Dunlop.pdf
• ortsbezogene Systeme im Außenraum
Weiterhin zu den Dauerbrennern auf Konferenzen zählen ortsbezogene Anwendungen.
Über die Schwierigkeiten bei der genauen Lokalisierung von autonomen Systemen via GPS und Ansätze zur Korrektur von insbesondere im urbanen Bereich unweigerlich auftretenden Ortungsfehlern sprach Anthony Steed vom Univ. College London.
Durch die Vorausberechnung von GPS-Satellitenpositionen und deren Sichtbarkeit zum gegebenen Zeitpunkt am gegebenen Ort erzeugt seine Software grafische Schattenbilder, die Voraussagen über „Navigationslöcher“ und Abweichungen in der Ortung erlauben.
http://www.cs.ucl.ac.uk/staff/a.steed/shadows_low.pdf
Tracy Ross (Loughborough Univ.) zeigte in ihrem Vortrag Möglichkeiten der Einbeziehung von gut sichtbaren Orientierungspunkten als zusätzliche Absicherung von gps-gesteuerten Wegleitsystemen für Fußgänger. So kann etwa der konkrete Hinweis „Gehen sie jetzt am Rathaus rechts vorbei“ zusätzliche Sicherheit für den Nutzer bieten und evtl. Ungenauigkeiten der rein technischen Positionsermittlung zumindest teilweise auffangen.
Noch einen Schritt weiter geht Christian Kray von der Lancaster University.
Er verzichtet gänzlich auf GPS-Daten und ermittelt die Position des Anwenders rein über die Abfrage von Sichtbarkeit konkreter Objekte im Stadtraum. In einem Projekt in Heidelberg konnte für einen eingegrenzten Innenstadtbereich mittels 3-4 Bild-Text-Fragen an den Nutzer mit ausreichender Genauigkeit festgestellt werden, wo er sich gerade befindet. Genutzt wurde dabei die unterschiedliche gegenseitige Überdeckung von Gebäuden von verschiedenen Standorten. Im Heidelberger Projekt dienten als Basis empirisch erfasste Daten zum Abgleich der Standorte. Zukünftig wäre es denkbar, dies durch 3D-Simulation zu erreichen.
• Ausstellungsbegleiter
Ortsbezogene Systeme für Innenräume können naturgemäß nicht auf GPS-Informationen zurückgreifen.
Barbara Schmidt-Belz (Fraunhofer FIT, Sankt Augustin) berichtete über Usertests mit dem mobilen Messebegleiter SaiMotion. Basierend auf WLAN-Lokalisierung werden dem Messebesucher Routenvorschläge zur Koordination seines Rundganges sowie drahtloser Netzzugang angeboten. Während die Akzeptanz für diese Basisdienste sehr gut war, wurden spezialisiertere Angebote, wie personalisierte und ortsabhängige Tipps zum Rundgang, Zugriff auf Webcams oder Lokalisation von Kollegen im näheren Umkreis von den Messebesuchern in diesem Versuch weniger genutzt.
Auch die verwendete WLAN-Lokalisation erfüllte die in sie gesetzten die Erwartungen in puncto die Zuverlässigkeit nicht immer.
http://www.fit.fraunhofer.de/projekte/saimotion/ilocations.xml
Russell Beale (Univ. of Birmingham) berichtete diesbezüglich über bessere Erfahrungen.
Das von ihm untersuchte Projekt verwendet Ultraschall zur Lokalisation des Museumsbesuchers und funktioniert äußerst genau und zuverlässig. Aufbauend auf dieser sicheren Basis war es möglich, Position und Bewegung im Raum als robuste Inputinformationen im Rahmen kontextabhängiger Angebote für den Besucher zu verwenden.
http://www.eee.bham.ac.uk/lonsdalepr/papers/context.pdf
Generell auffallend bei der Konferenz war die starke Präsenz avancierter Projekte aus Großbritannien.
Dies erklärt sich zum einen sicher aus dem Veranstaltungsort Glasgow.
Zum anderen dokumentiert sich hier aber auch das Ergebnis voraus schauender Förderungspolitik im Vereinten Königreich. Eine Vielzahl der Projekte wurde ermöglicht durch die Nutzung von Geldern aus dem im Jahre 2000 von der britischen Regierung aufgesetzten Förderprogramm EQUATOR.
http://www.equator.ac.uk/
Nicht zuletzt auch eine Auszeichnung, wie die mit der Goldenen Nika für interaktive Kunst auf dem Festival Ars Elektronica bereits im Jahre 2003 in Linz zeigt, wie fortgeschritten die Entwicklung in Großbritannien inzwischen ist.
http://www.canyouseemenow.co.uk/
Verweise:
Übersicht über weitere Beiträge der Konferenz unter
http://www.cs.strath.ac.uk/~mdd/mobilehci04/slides/
Ein Band mit allen Beiträgen der Konferenz ist erschienen bei Springer:
Titel: Mobile Human-Computer Interaction – MobileHCI 2004: 6th International Symposium, Glasgow, UK, September 13 - 16, 2004. Proceedings
Editors: Stephen Brewster, Mark Dunlop
ISBN: 3-540-23086-6